Sonntag, 18. April 2021

Residenzschloss Mergentheim | Allgemeines 25. April 1800: Hoffaktor Simon Baruch bittet um Verlängerung seines Schutzbriefes

Als angesehener Hoffaktor stand Simon Baruch ab 1750 im Dienst des Deutschen Ordens in Mergentheim. Bürgerrechte, die seine christlichen Nachbarn hatten, wurden ihm jedoch nicht automatisch zugestanden – den jüdischen Untertanen wurden Privilegien erteilt. Am 25. April 1800 bat der 84-jährige Simon Baruch den Hochmeister des Deutschen Ordens, seinen Schutzbrief zu erneuern. Dabei half ihm die Tatsache, dass seine Familie bereits seit über 150 Jahren in Mergentheim lebte und wirkte. Deutschlandweit wird in diesem Jahr mit einem großen Jubiläumsprogramm an „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erinnert. Die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg greifen das Thema auf und machen sich auf Spurensuche in den Monumenten des Landes.

IM DIENST DES DEUTSCHEN ORDENS

Das Residenzschloss Mergentheim war seit 1525 der Sitz des Deutschen Ordens und dessen Hochmeisters. Die eindrucksvolle Anlage zeugt noch heute davon, wie erfolgreich der Orden seinen Besitz unter anderem durch Handel vermehrte. Um 1750 wurde Simon Baruch, geboren um 1716 in Oedheim bei Neckarsulm, als Mann jüdischen Glaubens Teil dieser Erfolgsgeschichte. Der Deutsche Orden erlaubte dem Kaufmann, sich in Mergentheim niederzulassen und als Hoffaktor tätig zu werden. Ein Hoffaktor hatte damals die Aufgabe, als Kaufmann und Beschaffer von Kapital für den Herrscher zu fungieren. Häufig übernahmen Juden diese Aufgaben, weshalb auch von „Hofjuden“ gesprochen wurde.

 

JÜDISCHE TRADITION IN MERGENTHEIM
Bereits seit dem 13. Jahrhundert lebten Menschen jüdischen Glaubens in Mergentheim. Da sie häufig Anfeindungen ausgesetzt waren und kaum Rechte besaßen, stellten Landesherren ihnen Schutzbriefe aus. Das Wohl und Wehe der jüdischen Untertanen hing von den christlichen Herrschern ab, die unter anderem deren Wohnorte bestimmten. Die garantierte Sicherheit ermöglichte jedoch zugleich, dass sich jüdisches Leben und Kultur zumindest in Ansätzen entfalten konnte. In Mergentheim richtete der Jude Salomon 1656 einen Betsaal mit jüdischer Schule in seinem Privathaus in der Holzapfelgasse ein. Zwei Jahre später erneuerte der Hochmeister des Deutschen Ordens als Landesherr den Schutzbrief Salomons und erlaubte das Betreiben des Betsaals – allen Protesten der Bürger zum Trotz. Genau jener Salomon sollte rund 150 Jahre später für Simon Baruch eine wichtige Rolle spielen.

 

SIMON BARUCH ALS ERFOLGREICHER HOFFAKTOR
Als Hoffaktor im Dienste des Deutschen Ordens war Simon Baruch derart erfolgreich, dass er ab 1763 auch für das Kurfürstentum Köln, später auch für die Bistümer von Paderborn und Münster tätig wurde. Er kaufte Waren für den Bonner Hof, versorgte die Heere seiner Arbeitgeber mit Waffen und Nahrungsmitteln und beschaffte Geld für die Bauprojekte des Kölner Kurfürsten Clemens August. Auch die österreichische Kaiserin Maria Theresia verließ sich auf Simon Baruchs Geschick als Kaufmann. Baruchs Sohn Jakob führte die kaufmännische Tradition fort und betätigte sich außerdem politisch: Er gründete in Frankfurt am Main ein Bankgeschäft und war Vertreter der Frankfurter Juden auf dem Wiener Kongress.

 

VERLÄNGERUNG DES SCHUTZBRIEFES
In Mergentheim hatte Simon Baruch 1762 den Bau einer neuen Synagoge im Hinterhof seines Hauses beantragt. Die Deutschordensregierung erlaubte den Bau mit der Auflage, dass die Gottesdienste nur in aller Stille abgehalten werden sollten. Am 25. April 1800 wandte sich der inzwischen hochbetagte Simon Baruch wegen der Erneuerung des Schutzbriefes für sich und seine Familie an seinen langjährigen Arbeitgeber, den Deutschen Orden. Dem Hochmeister Maximilian Franz, Kurfürst von Köln, konnte er familiengeschichtlich nachweisen, dass bereits sein Vorfahre Salomon 1656 einen Schutzbrief erhalten hatte. Auch die Familie seiner Frau sei mit jenem Urahn verwandt gewesen. Der wichtige Schutzbrief und damit das Privileg zum Aufenthalt in Mergentheim wurde verlängert.

 

EIN WEITER WEG ZUR GLEICHSTELLUNG DER JUDEN
Simon Baruch starb am 8. Oktober 1802 in Mergentheim. Auch seine Nachkommen waren erfolgreiche Kaufleute und Bankiers. Als Demokrat, kritischer Journalist und Schriftsteller machte sich sein Enkel Ludwig Börne (1786–1837) einen Namen. Napoleons Neuordnung des deutschen Südwestens bewirkte nicht nur den Untergang der Deutschordensherrschaft in Mergentheim. Der Kaiser der Franzosen trieb die Judenemanzipation voran, die Menschen jüdischen Glaubens zu gleichwertigen Staatsbürgern erhob. Es sollte im Königreich Württemberg, zu dem Mergentheim fortan gehörte, allerdings bis 1864 dauern, bis die bürgerliche Gleichberechtigung endgültig durchgesetzt war.

 

1700 JAHRE JÜDISCHES LEBEN IN DEUTSCHLAND

Im Jahr 2021 kann jüdisches Leben in Deutschland auf eine 1700-jährige Geschichte zurückblicken, die im Rahmen eines bundesweiten Themenjahres mit zahlreichen Veranstaltungen beleuchtet werden soll. In einem Edikt des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 findet sich die erste Erwähnung von Juden, die im Gebiet des heutigen Deutschlands leben, in der damaligen römischen Stadt Köln. Es gilt als ältester Beleg jüdischen Lebens in Europa nördlich der Alpen. Zahlreiche Monumente in Baden-Württemberg bieten Gelegenheit dazu, sich auf Spurensuche von 1700 Jahren gemeinsamer Geschichte zu begeben.

 

INFORMATION
Aktuell ist das Residenzschloss Mergentheim wie die meisten Monumente der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen des Landes aufgrund der Corona-Verordnungen geschlossen.

Download und Bilder