„TAG DER NATIONALEN ARBEIT“
1933 wurde in Deutschland der 1. Mai zum ersten Mal offiziell als gesetzlicher Feiertag begangen. Die Nationalsozialisten führen ihn im April 1933 als „Tag der nationalen Arbeit“ ein. Die Jüdische Gemeinde Bad Mergentheims feierte an diesem Tag ihren Gottesdienst. Dr. Kahn, der örtliche Rabbiner, hielt anlässlich des Feiertags eine Festrede in der Synagoge. Er sprach über die große Wertschätzung, die das Judentum der Handarbeit entgegenbringe. Wenige Jahre später sollte die jahrhundertealte Geschichte der Juden in Mergentheim brutal enden.
DER NATIONALSOZIALISMUS UND DIE ARBEITERSCHAFT
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der Umbau von Staat und Gesellschaft begann mit großen Tempo. Die Arbeiterschaft der Weimarer Republik stand dem Nationalsozialismus zunächst distanziert gegenüber. Das neue System versuchte daher, die Sympathien der Arbeiter rasch zu gewinnen – und die einflussreichen Gewerkschaften auszuschalten. Der 1. Mai wurde zum „Tag der nationalen Arbeit“ bestimmt, ein offizieller Feiertag mit voller Lohnfortzahlung. Die „Ehre der Arbeit“ wurde in den Mittelpunkt der Aufmärsche und Paraden gestellt. Am Tag darauf wurden die Gewerkschaften zerschlagen. Schon ein Jahr später tilgten die Nationalsozialisten den Bezug zur Arbeiterbewegung: Der Tag wurde umbenannt zum „Nationalen Feiertag des deutschen Volkes“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der 1. Mai grundsätzlich als „Tag der Arbeit“ von den vier Besatzungsmächten bestätigt.
ERSTE ANTIJÜDISCHE MASSNAHMEN
Der antisemitische Kurs der Nationalsozialisten war schon vor 1933 bekannt. Bereits am 1. April 1933 wurde der erste Boykott jüdischer Geschäfte organisiert. Am 7. April wurden mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ Beamte mit jüdischen Vorfahren aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen. Wie sollte sich die Jüdische Gemeinde von Bad Mergentheim am 1. Mai, diesem neuen Feiertag, der von den Nationalsozialisten eingeführt worden war, verhalten? Würden die Nationalsozialisten ihre radikale antisemitische Politik fortsetzen? Oder würden sie vielleicht mit der Zeit doch noch die fruchtbaren Verbindungen zwischen Juden und Christen sehen, die die Geschichte Mergentheims so eindrücklich zeigt?
JÜDISCHE TRADITION IN MERGENTHEIM
Bereits seit dem 13. Jahrhundert lebten Menschen jüdischen Glaubens in Mergentheim. Da sie häufig Anfeindungen ausgesetzt waren und kaum Rechte besaßen, stellten die Landesherren ihnen Schutzbriefe aus. In Mergentheim richtete der Jude Salomon 1656 einen Betsaal mit jüdischer Schule in seinem Privathaus in der Holzapfelgasse ein. Zwei Jahre später erneuerte der Hochmeister des Deutschen Ordens als Landesherr den Schutzbrief Salomons und erlaubte das Betreiben des Betsaals. Die Gemeinde stand – gegen besondere Abgaben – unter dem Schutz des Ordens und war den christlichen Bürgern rechtlich in vielerlei Hinsicht gleichgestellt. 1895 erreichte die blühende israelitische Gemeinde schließlich mit 280 Personen ihren höchsten Stand.
DIE JÜDISCHE GEMEINDE AM 1. MAI
Die „Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs“ vom 16. Mai 1933 gibt Auskunft, was die Jüdische Gemeinde unternahm: „Der Feiertag der Nationalen Arbeit wurde in unserer Synagoge festlich begangen. Nach der Thoravorlesung des Morgengottesdienstes hielt Rabbiner Dr. Kahn eine Festrede, aus der die große Wertschätzung, die das Judentum der Arbeit, und zwar auch der Handarbeit, beimißt, zum Ausdruck kam. Die zahlreichen Beter hörten der sinnigen Auslegung der Schriftverse andächtig zu. – Am großen Festzug des Nachmittags beteiligten sich die hiesigen Kriegsbeschädigten auf dringende Einladung hin.“
ERINNERUNG AN DIE JÜDISCHE GEMEINDE
Doch die Jüdischen Gemeinden konnten die sich abzeichnende antisemitische Politik der Nationalsozialisten nicht verhindern. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde jüdische Geschäfte und Wohnungen demoliert, Bürger verschleppt. Die Synagoge wurde geschändet, mehrere Mergentheimer Juden, unter ihnen auch der Rabbiner Dr. Khan, wurden misshandelt. Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft kamen mindestens 61 jüdische Bürger Mergentheims ums Leben. Die Ausstellung „Jüdisches Leben in Mergentheim“ im Residenzschloss erzählt von der Geschichte der Mergentheimer Juden, vom friedlichen Zusammenleben bis zu Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung.
1700 JAHRE JÜDISCHES LEBEN IN DEUTSCHLAND
Im Jahr 2021 kann jüdisches Leben in Deutschland auf eine 1700-jährige Geschichte zurückblicken, die im Rahmen eines bundesweiten Themenjahres mit zahlreichen Veranstaltungen beleuchtet werden soll. In einem Edikt des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 findet sich die erste Erwähnung von Juden, die im Gebiet des heutigen Deutschlands leben, in der damaligen römischen Stadt Köln. Es gilt als ältester Beleg jüdischen Lebens in Europa nördlich der Alpen. Zahlreiche Monumente in Baden-Württemberg bieten Gelegenheit dazu, sich auf Spurensuche von 1700 Jahren gemeinsamer Geschichte zu begeben.
INFORMATION
Aktuell ist das Residenzschloss Mergentheim wie die meisten Monumente der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen des Landes aufgrund der Corona-Verordnungen geschlossen.