Donnerstag, 29. April 2021

Residenzschloss Mergentheim | Allgemeines 5. Mai 1844: Karl Aman Habasch, ein ehemaliger Sklave, wird konfirmiert

Mit dem Themenjahr „Exotik. Faszination und Fantasie“ beleuchten die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg in diesem Jahr das Außergewöhnliche in den Monumenten – in seinem ganzen Facettenreichtum. Dazu gehören auch historische Ereignisse aus dem Residenzschloss Mergentheim. Dort lebte Herzog Paul Wilhelm von Württemberg – wenn er nicht als Naturforscher und Entdecker auf Reisen war. Er interessierte sich für ferne Länder und die dort lebenden Menschen. Von seiner Afrikareise begleitete ihn Amaan Gondaa, ein Oromo aus dem heutigen Äthiopien, zurück nach Mergentheim. Und dort wurde er als Karl Aman Habasch am 5. Mai 1844 konfirmiert.

EIN HERZOG ALS FORSCHER

Am 5. Mai 1844 wurde Karl Aman Habasch in Mergentheim konfirmiert. Ein normaler Vorgang, jedoch mit einer außergewöhnlichen Person: Der Konfirmand stammte aus dem Gomma-Gebiet im Oromo-Land im heutigen Äthiopien. Er begleitete Herzog Paul Wilhelm von Württemberg (1797–1860) nach seiner Forschungsreise in den Sudan nach Mergentheim. Der Herzog war Naturforscher und Entdecker: In seiner Jugend besuchte er zwar das Kadetteninstitut in Stuttgart und begann zunächst eine militärische Karriere in Preußen. Doch er interessierte sich nicht für Politik und hoffte zeitlebens, dass er nicht die württembergische Thronfolge anzutreten hatte. Herzog Paul Wilhelm verschrieb sich stattdessen den Naturwissenschaften und der Länder- und Völkerkunde.

 

MERGENTHEIM UND AFRIKA
Herzog Paul Wilhelm von Württemberg reiste nach Nordamerika, Nordafrika und Australien – und sammelte dort begeistert zoologische, botanische und ethnografische Raritäten. So stand auch im Mittelpunkt seiner Sudan-Reise 1839 das Erforschen der Fauna und Flora, Mineralien und Geologie, Politik und Ethnien. Wie auch auf anderen Reisen, knüpfte der Herzog in der damaligen osmanischen Kolonie Kontakte und war an Begegnungen mit Einheimischen interessiert. Es ist dem Reiz des „Exotischen“ und der damals verbreiteten Leidenschaft des Adels für „Kuriositäten“ zuzuschreiben, dass Herzog Paul Wilhelm Einheimische nach Europa einlud und sie dort zu Mitgliedern seines Hofstaats, seiner persönlichen Umgebung machte. Von seiner Reise in den Sudan 1839 begleiteten ihn zwei Schwarze nach Mergentheim: Amaan Gondaa, genannt Karl Aman Habasch (um 1828 bis 1847) und Paul Anton Rehan (um 1835 bis 1865).

 

KARL AMAN HABASCH

Amaan Gondaa, genannt Karl Aman Habasch, war der Sohn eines fürstlichen Justizbeamten. Er gehörte zu den Oromo, die heute noch die größte Bevölkerungsgruppe in Äthiopien stellen. Mit acht Jahren wurde er verschleppt und über viele Jahre als Sklave von verschiedenen Händlern gekauft und weiterverkauft. Schließlich kaufte ihn Herzog Paul Wilhelm seinem aktuellen Besitzer ab – einem Christen – und brachte ihn mit zurück nach Mergentheim. Hier wurde Amaan Gondaa an der Volksschule unterrichtet und getauft. Herzog Paul Wilhelm ließ Amaans Muttersprache von dem Linguisten Karl Tutschek untersuchen. Die Ergebnisse fanden Eingang in das „Lexicon der Galla Sprache“. Am 5. Mai 1844 feierte Habasch in Mergentheim seine Konfirmation. Zu dieser Zeit besuchte er die örtliche Lateinschule. Er sollte, so war es der Wunsch des Herzogs, Medizin studieren um „einstens seinem Volke geistig und leiblich beizustehen“. Doch am 1. August 1847 starb Habasch an Lungentuberkulose – mit nicht einmal 20 Jahren.

 

KARL AMAN HABASCH

Den fünfjährigen Rehan erhielt der Herzog vermutlich „geschenkt“ – er war wohl ein Sklave im Besitz von Muhammad Ali Pascha, Gouverneur der osmanischen Provinz Ägypten und Verantwortlicher für die Kolonie Sudan. Rehan war damit kein Sklave mehr, denn diesen Rechtsstatus gab es im Württemberg in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht. Rechtlich gesehen war er ein „Angehöriger des Herzogs“. Wegen einer schweren Erkrankung ließ Herzog Paul Wilhelm ihn nottaufen. Er gab ihm den Namen Paul Anton. Rehan, der afrikanische Vorname, wurde damit zu seinem Nachnamen. Paul Anton Rehan besuchte die Volksschule in Mergentheim, und trat bald in die Dienste des Hauses Württemberg ein. 1855 versuchte er, ins bayerische Militär zu wechseln. Sein Antrag wurde abgelehnt. Nach dem Tod des Herzogs erhielt Rehan eine lebenslange Rente. Er lebte, ohne Aufgabe, einige Zeit bei dem Mergentheimer Hofgärtner, der anscheinend Mitleid mit ihm hatte: Rehan „ist eigentlich ja unschuldig, daß seine Bildung nicht ganz solid ist, er war ja seit seiner Schule so zu sagen fast ganz ohne Aufsicht, sondern meistens sich selbst überlassen und sah nichts anderes, als war seine Umgebung that.“ Am 6. Mai 1865 starb Rehan in Mergentheim.

 

DIE SAMMLUNG DES HERZOGS

Die auf seinen Reisen gesammelten zoologischen, botanischen und ethnografischen Objekte zeigte Herzog Paul Wilhelm von Württemberg später in einem „Raritätenkabinett“ mit Kuriositäten wie Bärenpfoten und präparierten Tierkörpern – die Ausstellung umfasste 20 Räume. Sie zählte damals wohl zu den größten naturwissenschaftlichen und ethnografischen Privatsammlungen Deutschlands. Im Zweiten Weltkrieg wurde ein Großteil der Sammlung und des Nachlasses Paul Wilhelms zerstört. Eine Ausstellung im Residenzschloss Mergentheim thematisiert heute die Reisen des Herzogs Paul Wilhelm. Als eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse seiner Expeditionen ist dort eine kolorierte Zeichnung von einer Nordamerika-Reise zu sehen: Es zeigt den Herzog am „blauen Fluss“ mit Wa-kan-ze-re, dem Häuptling der Kansa, im Jahr 1823.

 

THEMENJAHR „EXOTIK. FASZINATION UND FANTASIE“

Mit dem Themenjahr „Exotik. Faszination und Fantasie“ erkunden die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg in diesem Jahr die Wege von duftenden Gewürzen, kostbar gearbeitetem Kunsthandwerk und außergewöhnlichen Pflanzen nach Europa. Die Sucht und Sehnsucht nach Exotik bereicherte die höfische Inszenierung um viele Glanzpunkte. Auch die Kehrseite der Medaille wird beleuchtet: Die europäische Neugier und Besitzgier, der Wissens- und Expansionsdrang führten überall auf der Welt zu Gewalt und Ausbeutung von Mensch und Natur. Zur Zeit der Sudan-Reise des Herzogs Paul Wilhelm von Württemberg sind weitere Biografien von Oromo belegt, die von Adeligen freigekauft wurden und so nach Deutschland kamen. Schwarze Hofdiener galten bereits im Barock als exotischer Schmuck eines glänzenden Hofes: An vielen Höfen nennen die historischen Dokumente solche Schicksale.

 

INFORMATIONEN
Aktuell ist Residenzschloss Mergentheim wie die Monumente der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg aufgrund der hohen Inzidenzwerte nach der Corona-Verordnung geschlossen.

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